© DAV-LU / Ralf Flachmann

Auf Bergtour in den Tannheimern

25.08.2022

Alle Klamotten dabei, Stöcke, Erste Hilfe-Utensilien, Ladegerät fürs Handy? Dann kann‘s los gehen.

Ulrich steht Punkt 8 vor der Tür – es geht in die Tannheimer Berge. Aber nur zwei auf der Hochtour HT04? Teilnehmer meldeten sich an, wurden krank, meldeten sich ab, hatte Beschwerden oder nicht genug Bergerfahrung - es wurde auch so eine gute Hochtouren-woche: gut geplant, gute Verpflegung, gutes Wetter. Nur der Anmarschweg und der Aufstieg zur Nesselwängler Scharte geschahen in niedrig hängenden Wolken, danach waren Sonnenstrahlen unsere tägliche Begleitung. 

Die Hüttencrew der Otto-Mayr-Hütte machte „Team2“ aus uns für Abendessen und Frühstück, alles schmackhaft und gut organisiert. Aber, wieso wird für das Vermeiden von Bettwanzen auf das kurze „Mikrowellen“ der Hüttenschlafsäcke verwiesen, wenn die Mikrowelle nicht angeschlossen ist?

Am zweiten Tag kraxelten wir zur Nesselwängler Scharte hoch, zunächst den Weg suchend, die noch kühlen Temperaturen genießend. Oben zückten wir die Fotoapparate: eine Gemse, schön blühender Eisenhut, der Haldensee rechter Hand, der klare Blick zur Krinnenalpe, unserem Ziel auf der anderen Talseite. Abends genossen wir vor der Alpe den Sonnenuntergang mit Blick zurück auf die Rote Flüh, die Köllen- und Gehrenspitze, das Gimpelhaus, den Enzianschnaps.

Als nächste Etappe hatte Ulrich mittels „Outdooractive“ den Weg über die Krinnenspitze und die Litnischrofen geplant, dann Abstieg und weiter zur Landsberger Hütte. Online geplant, aber auf der Alpenvereinskarte nicht durchgängig eingezeichnet. Die Auskunft des Hüttenpersonals dazu war unerwartet: „No way, der Weg ist seit Jahren gesperrt. Nichts für euch.“ Damit gingen wir schlafen. 

Tags drauf beginnt das Frühstück deutlich verspätet. Wir warteten mehr als 45min vor der Tür des Speisesaals, hinterfragten die Zeitangabe fürs Frühstück. Der Hüttenwirt andererseits ist ebenfalls verdutzt über die offensichtlich noch müden Wanderer; keiner erscheint. Aber nichts dergleichen – ein kleiner Schotterstein verklemmte die Eingangstür und verhinderte das Öffnen. Das Malheur ist erst spät entdeckt, aber schnell behoben. Erfreulicherweise korrigiert der Hüttenwirt vor unserem Start die gestrige Information: der Weg über die Litnisschrofen sei nicht in gutem Zustand, nicht mehr gepflegt und nicht immer mit guter Markierung, aber begehbar. So bleiben wir bei Ulrichs Plan, keine Änderung. Der Weg zur Krinnenspitze ist kein Problem, von dort sehen wir den Weg zu den Litnischrofen deutlich vor uns, auch den Hochvogel und das Geishorn. Auch danach ist der Weg machbar, auch wenn der Abzweig zum Abstieg ins Strindbachtal nicht klar zu erkennen ist. Ein Trailrunner wundert sich sogar, dass heute so viel los sei, als wir Aufsteigende nach der Begehbarkeit der Geröllfelder fragen.  Er kennt sich aus, quert die Geröllfelder schnell. Wir gehen auf Nummer sicher und nehmen den ausgebauten Fahrweg mit Blick auf die Lachenspitze, unterhalb der die Landsberger Hütte liegt. Der Abstieg zur Hütte bietet einen landschaftlich prächtigen Blick: unser Quartier zwischen Lache und Traualpsee, vor der Roten Spitze, Geierköpfle nebenan. Es ist heiß, wir hatten wenig Pause unterwegs gemacht: eine Maß Bier im Schatten ist das Erste, nachdem der Rucksack an der Landsberger Hütte abgesetzt ist.

Am nächsten Tag geht es zum Prinz-Luitpold-Haus. Dieser Abschnitt ist Teil einer neu erschlossenen alpinen Wanderroute. Wir hören mehrfach abends auf den Hütten von diesem „Grenzgängerweg“, einer Mehrtagesroute zwischen Tannheimer Tal, Hintersteiner Tal und dem Lechtal. Vom Lachenjoch (1960m) über die Lahnerscharte näheren wir uns auf dem Jubiläumsweg, die österreichische und deutsche Grenze mehrfach überschreitend, der Bockkarscharte (2240m) – ein schweisstreibender Aufstieg, mit Treppen, der Sonne ausgesetzt. Der Blick von dort zu unserer Übernachtungsstation (1846 m) ist toll und die Gewissheit, jetzt geht es nur noch hinunter, ist ermunternd.

Am vierten Tag 4 geht es über die Kreuzspitze mit Seilsicherungen auf den Gipfel des Hochvogel (2592 m). Auf dem Gipfel ist nicht viel los: Gipfelstürmer fotografieren sich gegenseitig, genießen ihre Brotzeit auf der Gipfelbank, versuchen Gipfel und Bergketten zu identifizieren. Über den Gipfel verläuft die Grenze zwischen Bayern und Tirol, auch eine seit 50 Jahren bekannte und bis zu 100m tiefe Spalte, die sich mehr und mehr ausdehnt. Das Gestein aus Hauptdolomit, einem mehr als 200 Millionen Jahre alten Kalkgestein, ist ausgesprochen spröde und stark zerklüftet ist.

Das Gipfelkreuz ist deshalb von vielen Messgeräten umgeben, die TU München wertet aus und kann 2-3 Tage im Voraus über Felsstürze warnen. Geologen schreiben sogar von einem unhörbaren „Brummen“ und „Summen“, verursacht durch Gesteinsschwingungen entlang dieser großen Spalte, deren Südostflanke immer weiter absackt. Eine Querspalte am Gipfel spaltet sich 3mal schneller als die Hauptspalte auf.

Spät aufgebrochene Wanderer kommen uns beim Abstieg entgegen, sie wollen abends nochmals auf dem Prinz-Luitpold-Haus das leckere Bio-Essen genießen. Die Schutzhütte wirbt damit, als „erste Hütte des DAV den Weg zu einer reinen Bio-Küche“ eingeschlagen zu haben. Wir rasten kurz auf der Terrasse, füllen unsere Trinkflaschen, schultern unsere Rücksäcke zum Abstieg Richtung Giebelhaus. Über uns fliegt ein Lastenhubschrauber mit einem Betonkübel: die Terrasse wird neu betoniert. Jede Flugminute ist teuer, der Kübel schwebt nur kurz zum Entladen über Terrasse, dann fliegt der Helikopter mit der Nase nach unten ins Tal ... und schon ist er wieder zurück. Im Tal am Giebelhaus warten auch Tagesausflügler vor uns auf den Wanderbus nach Hinterstein. Bisher waren wir ohne Schutzmaske unterwegs, auch in den Alpenvereinshütten, jetzt im Bus ist dieses Utensil ungewohnt.

In Hinterstein legten wir die Beine hoch; vor der Unterkunft gibt ein Blasorchester einen „Kurkonzert“ betitelten Auftritt. Währenddessen gibt es abends Blaulichtalarm, mehrere Rettungsfahrzeuge und Polizeiautos fahren Richtung Giebelhaus und die erst kürzlich durch die Medien gegangene Episode von den „99 Schülern und 8 Lehrern in Bergnot“ macht die Runde.

Wir verlassen Hinterstein, steigen zur Willersalpe hoch, kraxeln im Zickzack zum Zirleseck, den Grat entlang Richtung Geishorn. Hier ist Trittsicherheit angesagt, aber Stufen und Seile helfen an manchen Stellen. Kurz vor dem Gipfel zweigt der Weg ab ins Tal nach Tannheim. Im Gras rastend können wir eine Wandergruppe auf dem Grat beobachten, den wir soeben auch gegangen sind. Ulrich macht mit seinem Tele Aufnahmen und wir können ihre Kopftücher, Schuhe und Mützen erkennen. Der Weg ist exponiert und Schilder mit „Absturzgefahr“ sollten beachtet werden!

Tannheim zehrt am Geldbeutel: die Übernachtung ist 3-4 mal teurer als in den DAV-Hütten, das beim Frühstück eingepackte Sandwich für unterwegs soll zusätzlich bezahlt werden. Erstaunlicherweise sind abends viele Gaststätten geschlossen (es ist doch Saison) oder haben nur kurz geöffnet. Wir laufen nach rechts, wir laufen nach links, die Dorfstube rettet uns, auch ohne Reservierung. Im „Eisdirndl“ gegenüber ist viel los.

Der letzte volle Wandertag steht an, von Tannheim zurück zur Otto-Mayr-Hütte. Wir machen es uns diesmal einfach: wir laufen nicht im Tal, sondern nehmen den Bus nach Lumberg. Von dort aufwärts Richtung Aggenstein mit Bad Kissinger Hütte, am Lumberger Grat entlang zur Sonnenalm. Es ist der einzige Tag, wo wirklich mehr Wanderverkehr auf unserer Route herrscht. Hierher kommen viele nicht nur per Pedes, sondern mit der Bahn hinauf. Der Blick von der Sonnenalm nach Grän und zurück nach Tannheim ist phänomenal klar. Wir sehen wieder die Krinnenalpe, das Geishorn. Praktisch liegt unsere Wanderoute der letzten Tage nochmals vor uns, unsere Runde geht zu Ende.

Wir stiegen bis zu 1500m hoch, um abends fast die gleichen Höhenmeter abgestiegen zu sein. Wir hatten Bergsteiger-Spätzle und Nuss-Zucchinikuchen, wir hatten Schnarcher im Zimmer und unterwegs müde Beine, die nicht beabsichtigte Pausen erzwangen, wir sahen Schwalbenschwanz-Enzian und Edelweiss (diesen aber nur im Alpingarten), wir kauften Bier für den doppelten Preis und hatten das zweite gratis - wir hatten eine schöne Hochtour!

von Ralf Flachmann und Ulrich Dauner